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06.05.2025
Eine Frau mit einem Mikrofon in der Hand

Eltern mit Behinderung oder psychischer Beeinträchtigung können aufgrund vielfältiger Barrieren bei der Wahrnehmung ihrer Elternrolle auf Unterstützung angewiesen sein. In der Praxis stellt sich die Frage: Wie kann eine bedarfsgerechte Unterstützung der Eltern gelingen? Der Fachtag „Eltern mit Behinderung: Außen vor oder mitgedacht?“ der Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben in Nordrhein-Westfalen (KSL.NRW) in Münster gab Antworten.

Stellen wir uns mal vor: Sabine M. (der Name ist fiktiv) erzieht ihren achtjährigen Sohn allein. Wenn die Schule zum Elternabend einlädt, steht die Rollstuhlnutzende regelmäßig vor einem Problem. Die Veranstaltung findet im zweiten Stock des Schulgebäudes statt. Einen Aufzug gibt es nicht. Wie soll sie ohne Unterstützung den Klassenraum erreichen?  Und wenn es ihr doch gelingen sollte: Nach dem Zusammenkommen im Klassenzimmer treffen sich die meisten Eltern noch gern abschließend privat in einer nahegelegenen Kneipe. Auch das wird für Sabine M. schwierig bis unmöglich. Denn der Treffpunkt ist nicht barrierefrei. Die Toiletten befinden sich im Untergeschoss. Wäre Sabine M. taubblind, könnte sie ohne Gebärdensprachdolmetscher*in und Taubblindenassistent*in ebenfalls weder am Elternabend noch am gemeinsamen Kneipenbesuch teilnehmen. Beispiele für alltägliche Barrieren von Eltern mit Behinderung.

Eine Collage aus drei Fotos. Das Foto links zeigt die Moderatorin Debora Stockmann. Das Bild in der Mitte zeigt einen Blick ins Publikum. Auf dem Foto rechts unterhalten sich zwei Personen.

 

Der Fachtag „Eltern mit Behinderung: Außen vor oder mitgedacht?“ der Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben in Nordrhein-Westfalen (KSL.NRW) zeigte anhand konkreter Praxisbeispiele die Herausforderungen auf, mit denen Eltern mit Behinderungen und psychischen Beeinträchtigungen im Alltag konfrontiert sein können. Mehr als 50 Mitarbeitende von Leistungsträgern und Leistungserbringer*innen der Eingliederungshilfe und Jugendhilfe sowie von Beratungsstellen für Menschen mit Behinderungen waren gekommen, um sich über mögliche Bedarfe und gesetzliche Leistungsansprüche von ratsuchenden Eltern mit Behinderung zu informieren und auszutauschen. Organisiert wurde diese Veranstaltung der KSL.NRW vom KSL.Münster.

Zum Auftakt mahnte die Beauftragte für Menschen mit Behinderung der Stadt Münster, Doris Rüter, die Teilhabe-Möglichkeiten von Eltern mit Behinderung im Rahmen einer barrierefreien Stadtgestaltung in den Fokus zu rücken. „Wir müssen das Bewusstsein für eine selbstverständliche Akzeptanz für Eltern mit Behinderung schaffen“, forderte Rüter in ihrer Begrüßung und ließ keinen Zweifel daran, wie die Frage „Außen vor oder mitgedacht?“ im Untertitel der Veranstaltung zu beantworten sei. 

Eine Collage aus drei Fotos der Referentinnen. Das Bild links zeigt Christiane Rischer. Das Bild in der Mitte zeigt Martina Steinke. Das Bild rechts zeigt Melanie Wegerhoff.

Berichte aus der Praxis

Über die allgemeine Situation von Eltern mit Behinderung – insbesondere in NRW – berichtete Christiane Rischer, herausgehobene Projektmitarbeiterin beim KSL.Arnsberg und selbst rollstuhlnutzende Mutter von zwei mittlerweile erwachsenen Kindern. Nach einer Statistik von IT.NRW 2024 lebten 2022 rund 150.000 Eltern beziehungsweise Elternteile mit Behinderung in NRW. Sie berichtete, dass Eltern mit Behinderung bei Angeboten für Familien kaum Berücksichtigung finden und daher in der Gesellschaft weitgehend unsichtbar seien. Dies sei sowohl für die Eltern mit Behinderung selbst als auch für deren Kinder nachteilig, da sie an Elternnetzwerken nicht teilhaben und auch die Kleinen. Dabei seien die Herausforderungen für die betroffenen Eltern erheblich von der Art der Behinderung abhängig. Spezifische Hilfsmittel, Kommunikationsformen und Organisationsmaßnahmen könnten die Elternschaft unterstützen und die Möglichkeiten zur Teilhabe erhöhen.

Diese Situationsbeschreibung wurde von Melanie Wegerhoff vom KSL für Menschen mit Sinnesbehinderung in Essen und Katja Fellenberg vom KSL.Düsseldorf durch deren persönliche und fachliche Erfahrungsberichte vertieft. Praxisbeispiele aus der Sicht der Jugendhilfe ergänzte Ralf Geller vom Jugendamt der Stadt Münster. Arne Espeter, Leiter des Fachbereichs Beratung und Jugendhilfe beim Caritasverband für den Kreis Coesfeld, steuerte mit dem Thema „Begleitende Elternschaft“ ein konkretes Unterstützungsangebot für Eltern mit Behinderung bei.

Eine Collage der Referenten und der Referentin aus drei Fotos. Das Foto links zeigt Ralf Geller. Das Foto in der Mitte zeigt Arne Espeter. Das Foto links zeigt Katja Fellenberg.

Rechtsanspruch auf Elternassistenz

Als zentrales, alle Behinderungsformen berührendes Thema stand die Elternassistenz als Unterstützungsform im Fokus des Fachtags. Martina Steinke, Referentin für Juristische Fragen beim KSL.Münster, stellte heraus, dass Eltern, die aufgrund ihrer Behinderung in ihrer Teilhabe als Eltern beeinträchtigt sind, einen Rechtsanspruch auf diese Unterstützform hätten, der im Sozialgesetzbuch Neun und Acht geregelt ist. Dabei sei die einfache Assistenz als vollständige oder teilweise Übernahme von Handlungen zur Erfüllung der Elternrolle, die durch den assistenznutzenden Elternteil selbst angeleitet wird, von der qualifizierten Assistenz zu unterscheiden. Letztere umfasst eine pädagogische Unterstützung, damit der assistenznutzende Elternteil in die Lage versetzt wird, angemessen auf die Bedürfnisse des Kindes zu reagieren. 

Fehlende Leistungsanbieter

Allerdings wies Martina Steinke darauf hin, dass auch in der Praxis Leistungserbringer fehlen, die Elternassistenz anbieten. Sie empfahl Eltern, schriftlich einen Antrag beim überörtlichen Träger der Eingliederungshilfe (in NRW Landschaftsverband Westfalen-Lippe oder Landschaftsverband Rheinland) zu stellen, wenn sie einen Bedarf an Elternassistenz haben. „Sozialleistungsträger haben kraft ihrer Planungsverantwortung darauf hinzuwirken, dass die zur Ausführung von Sozialleistungen erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen“, unterstrich sie.

Moderiert von Debora Stockmann, Projektleiterin des KSL.Münster, entwickelte sich der Fachtag zu einer vielschichtigen Informations- und Austauschbörse, die den Teilnehmenden von Leistungsträgern und Leistungserbringer*innen der Eingliederungshilfe und Jugendhilfe sowie von Beratungsstellen für Menschen mit Behinderungen viele neue Erkenntnisse und Einsichten vermittelte. So wurden die Informationen, Rechtstipps und Handlungsempfehlungen rund um das Thema Elternassistenz von den Teilnehmenden als besonders hilfreich empfunden. Weitere Fachtage der KSL.NRW zum Thema Eltern mit Behinderung sind für den kommenden Herbst in den Regierungsbezirken Köln und Düsseldorf geplant.

Sie möchten mehr über das Thema "Eltern mit Behinderung" und die Arbeit der KSL.NRW wissen? Weiter Informationen dazu finden Sie hier.

Fotos: KSL.Münster/MKM