Direkt zum Inhalt

Offener Brief des AK gegen Gewalt an Frauen zur Kriminalstatistik

08.03.2022
Das Logo des Arbeitskreis gegen Gewalt an Frauen besteht aus einem roten Punkt auf weißem Hintergrund. Eingefügt ist noch der Titel des Logos, also Kölner Arbeitskreis gegen Gewalt an Frauen

Sehr geehrte Damen und Herren der Politik und der Presse, liebe Interessierte der Stadtgesellschaft und Kolleg*innen in NRW,

am 21.2.2022 wurde die Polizeiliche Kriminalstatistik NRW für 2021 vorgestellt. Innenminister Reul rückte in den Vordergrund, dass die Kriminalitätsrate „so niedrig wie zuletzt 1985“ sei und führte eine ganze Reihe von Deliktbereichen auf, die das untermauern. Lediglich im Bereich der sexuellen Gewalt gegen Kinder gebe es einen dramatischen Anstieg der Zahlen – aber nur, weil die Polizei hier jetzt aufmerksamer sei und mehr finde. Alle anderen Sexualdelikte fallen im ausführlichen Bericht des Ministers (https://polizei.nrw/presse/kriminalitaet-so-niedrig-wie-zuletzt-1985-ei…) komplett unter den Tisch, sind also nicht der Rede wert! Dabei gibt es sogar einen extra Absatz zur Sprengung von Geldautomaten, es wird auf „Straftaten zum Nachteil von älteren Menschen“ eingegangen und im Bereich BTM-Delikte wird genau aufgelistet, wie viele Kilogramm von welcher Droge beschlagnahmt werden konnten. Warum fehlt der große Bereich der sexualisierten Gewalt gegen Frauen? Weil die Entwicklung in diesem Bereich nicht zum Bild passt, das man vermitteln will (niedrige Zahlen, NRW ist sicherer denn je…)? Weil das Thema für die Politik unangenehm ist? Die Zahlen sind hier jedenfalls gestiegen, so z.B. bei Vergewaltigungen, schweren sexuellen Nötigungen und bei sexueller Belästigung. Und das ganz ohne die spezielle Aufmerksamkeit der Polizei. Femizide, deren erschreckend hohe Zahlen seit mehreren Jahren immer wieder durch die Presse gehen, kommen in der Statistik überhaupt nicht vor bzw. werden nicht extra ausgewiesen.

Auch bei der Vorstellung der Kölner Kriminalstatistik für 2021 (https://koeln.polizei.nrw/sites/default/files/2022-02/PKS-Jahresbericht…) ist sexualisierte Gewalt kein großes Thema. Auf der Seite „Das wichtigste in Kürze“ ist eine Auflistung der vier Bereiche, in denen es in 2021 prozentual „bedeutende Zunahmen“ gegeben habe, zu finden. Auf Platz 1 ist „Diebstahl KfZ“ mit einem Plus von 15,41% zu finden. Dahinter müsste – laut den statistischen Daten der kommenden Seiten – eigentlich der Gesamtbereich „Sexualdelikte“ mit einem Plus von 12,46% kommen. Tatsächlich folgen „Bedrohung“, „Widerstand“ und „BTM-Delikte“, letztere rangieren bei genauerem Hinsehen eigentlich zahlenmäßig mit einem Plus von 5,07% noch hinter „Stalking“ (+6,95%). Noch nicht einmal die horrenden Zahlen (ein Plus von 88,77%) bei „Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornographischer Schriften“ schaffen es auf diesen vorangestellten Überblick, auch nicht das Plus von 11,46% beim „sexuellen Missbrauch von Kindern“.

Als Kölner Arbeitskreis gegen Gewalt an Frauen (https://www.stadt-koeln.de/arbeitskreis-gegen-gewalt), in dem sich mehr als 20 Einrichtungen des Unterstützungssystems engagieren, die von Gewalt bedrohte oder betroffene Frauen, ihre Kinder sowie weibliche Jugendliche betreuen, beraten und begleiten, sind wir mehr als irritiert. Darüber, wie sehr der große Bereich der sexualisierten Gewalt sowohl auf kommunaler als auch auf Landesebene immer noch übersehen und ignoriert wird. Genau diese Unsichtbarkeit ist aber das Problem: nicht zuletzt aus dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche haben wir gelernt, dass es nur geht, wenn darüber gesprochen, sichtbar gemacht und ernst genommen wird! Die Zahlen, die es in diesen Bereich in die Kriminalstatistik schaffen, sind ja nur die Spitze des Eisbergs – erfahrungsgemäß ist die Dunkelziffer gerade im Bereich der Sexualstraftaten um ein Vielfaches höher. Wir müssen alle darüber sprechen, die Fakten nennen, immer wieder, überall – nur so kann sich die Situation für gewaltbetroffene Frauen und Kinder langfristig tatsächlich verbessern!

Für den Kölner Arbeitskreis gegen Gewalt an Frauen
Irmgard Kopetzky

Notruf und Beratung für vergewaltigte Frauen – Frauen gegen Gewalt e.V.
Herwarthstr. 10
50672 Köln
Tel.: 0221/562035
E-Mail: mailbox@notruf-koeln.de
HP: www.notruf-koeln.de